Genau heute vor einem Jahr war ich fünf Tage über dem errechneten Entbindungstermin. Es waren die längsten Tage meines Leben. Jeden Morgen dachte ich beim Aufwachen: „Heute geht es bestimmt los!“. Und wiederholte den Gedanken alle 30 Minuten.

Ich verbrachte viel Zeit auf der Couch, weil längere Ausflüge nicht mehr drin waren. Mein Bauch war so riesig, dass mir laufen und stehen immer schwerer fiel. Ich versuchte die Nachfragen von Familie und Freunden per WhatApp zu ignorieren. Zu erzählen gab es sowieso nichts. Ich wartete halt. Zwischendurch hatte ich richtig schlechte Laune. Alles war vorbereitet, ich hatte Netflix leergeguckt und wollte einfach nur, dass es endlich losgeht.

Kurz bevor ich anfing, fanatisch Tetris zu spielen und meine eigenen Rekorde zu brechen, schrieb ich ein Gedicht.

Ich mag Gedichte. Mit ihnen komprimiere ich meine Realität. Sie erzählen etwas über mich als Autorin, meine Erlebnisse, Gedanken und Gefühle. Gleichzeitig schaffen sie Raum für Geheimnisse und Fantasie.

Als ich meine Warteschleifen-Situation in 44 Zeilen gepackt hatte, ging es mir besser. Ich konnte meine Ungeduld und Ängste in etwas Positives umwandeln, anstatt mich von ihnen fertigmachen zu lassen. Sublimieren nennt man das in der Psychologie.

Wie „gut“ oder „schlecht“ das Gedicht ist, ist im Grunde völlig egal. Lyrik entzieht sich – meiner Meinung nach – ohnehin objektiven Bewertungskriterien. Dafür ist sie viel zu persönlich.

Für mich ist dieses Gedicht eine Erinnerung. Wenn ich es lese, weiß ich wieder, was ich gedacht, getan, gesehen und gefühlt habe.

Gedicht mit Schreibmaschine getippt

Habt ihr schon einmal eine schwierige Situation in einem Gedicht, Bild oder Song verarbeitet? Wie ging es euch danach?