Mein erstes Jahr als Mama ist jetzt um. Es war ein schönes Jahr. Voll mit Erlebnissen, die das Prädikat „Meilenstein“ verdienen, mit ersten Malen, die in Fotoalben eingehen werden und mit Emotionen, von denen ich früher nur gelesen hatte.
Was meine Wach-sein-Quote betrifft, habe ich wohl kein Jahr zuvor so ausgekostet wie dieses. Ich habe so viel erlebt, dass ich kaum glauben kann, dass das alles innerhalb von 365 Tagen passiert sein soll. Und ich bin nicht mal oft vor die Tür gegangen.
Es ist schnell vergangen, dieses erste Jahr. Und irgendwie auch nicht.
Da waren durchaus Momente, die sich anfühlten, als hätte jemand auf Zeitlupe gedrückt. Wenn das Baby viel schrie zum Beispiel. Und ich ihm nicht gleich helfen konnte, weil ich erst herausfinden musste, was ihm fehlt. Wenn es den ganzen Tag über quengelte oder die Nacht hindurch getragen werden wollte, weil die Zähne ärgerten, es Schnupfen hatte oder Gebärmutterheimweh.
Ich musste erst lernen, diese Stunden und Tage mit Geduld zu ertragen. Und Geduld konnte nur auf dem Wissen wachsen, dass sie vorbeigehen werden. Doch in den ersten Wochen als Mama fühlte sich alles, was noch nicht ganz rund lief, jeder Fehler, jeder Zweifel, jede Unzulänglichkeit meinerseits wie ein kleiner Weltuntergang an.
Zeit ist relativ
Da sind Männer und Frauen, die ihr zweites, drittes, viertes… Kind bekommen uns Erstlingseltern wohl etwas voraus. Sie wissen schon, dass in der Erinnerung das anstrengende und ätzende Zeug verblasst. Dass sich sechs Jahre wie ein Fingerschnipsen anfühlen können: Gerade geboren, zack Einschulung. Nicht umsonst mahnen sie uns Unerfahrenere mit Sprüchen wie „Genießt es, solange sie noch klein sind. Sie werden ja so schnell groß“. Wahrscheinlich haben sie recht.
Es gibt aber Floskeln, die mich wirklich nerven. Nämlich: „Ach, könnten sie (die Kinder, meistens Babys) doch nur immer so klein bleiben!“ oder „Hört doch mal auf zu wachsen!“. Ich weiß, ich weiß, die sind nicht wirklich ernst gemeint. Jedenfalls nicht 100%ig. Aber ich finde sie trotzdem richtig blöd.
Ich konnte es schon als Kind nicht leiden, wenn auf Familienfeiern entfernte Verwandte ausgiebig herum wunderten, wie groß ich doch geworden sei – „eine richtige Dame“. Bloß weil sie nicht fassen konnten, wie schnell die Zeit vergeht. Und dieses Kind ihnen eiskalt klarmachte, dass ihre eigene nicht stehen bleibt.
Ich wusste damals nicht, was sie von mir wollten. Ich fand mich normal groß und normal alt. Mir kamen die Jahre nicht schnell, sondern eher langsam vor. Ich wollte, dass sie vergingen. Denn ich wollte wachsen.
Lieber staunen, nicht bedauern
Klar, sitze ich jetzt als Erwachsene da und denke „What? Das ist schon 12 Monate her?“. Ich habe oft die gespeicherten Baby-Fotos auf dem iPhone zurückgescrollt – einfach um irgendwie begreifen zu können, was da innerhalb so kurzer Zeit alles passiert ist. Wunderschönes. Großes.
Aber ich finde diesen ganzen Entwicklungsprozess viel zu spannend, um auch nur eine Sekunde zu wollen, dass er aufhört. Auch nicht, um eine Floskel daraus zu machen.
Außerdem läuft er nicht für mich ab, sondern für mein Kind. Es will sich entwickeln – so wie alle Kinder – und immer mehr können. Sonst hätte es nicht gemeckert, als es noch nicht krabbeln konnte. Sonst würde es nicht ständig auf der Suche nach neuen Dingen sein, die es lernen kann.
Bisher wachse ich in jede neue Entwicklungsetappe gemeinsam mit dem Baby – äh, Kleinkind! – hinein. Ich finde alles Neue unglaublich spannend. Es überschreibt das Vorangegangene. Ich konzentriere mich auf das, was gerade aktuell ist. Und bin gespannt auf alles, was noch kommen wird. Ich werde sicher meine melancholischen Momente haben (ehrlich gesagt, hatte ich gestern fünf davon). Aber ich will nicht wehleidig zurückblicken. Lieber staunend.
Ja, an Kindern kann man sehr gut sehen, wie schnell die Zeit vergeht. Deswegen habe ich beschlossen, den Rat erfahrener Eltern anzunehmen und diese Jahre zu genießen. Ohne jetzt schon zu bedauern, dass sie vergehen.