Neulich Abend saß ich gemütlich auf der Couch und schaute „20th Century Women“, ein Film von Mike Mills. Er spielt 1979 und erzählt die Geschichte einer alleinerziehenden Mutter. Sie lebt mit ihrem 15-jährigen Sohn in einer WG und weiß allmählich nicht mehr, wie sie mit ihm umgehen soll. Deswegen bittet sie ihre 30-jährige Mitbewohnerin und die beste Freundin des Sohnes um Hilfe. Die beiden sollen ihn dabei unterstützen, erwachsen zu werden.
Mal abgesehen davon, dass Greta Gerwig mitspielt und der Film auch sonst großartig ist – weil er keine seiner Figuren bloßstellt, beschuldigt oder anderweitig bewertet, sondern ihre Vergangenheit zueinander in Beziehung setzt und dadurch zumindest so etwas wie einen Ansatz dafür liefert, warum die Charaktere eben so sind wie sie sind – hat der Film mich auch deswegen angenehm geflasht, weil er ein Gefühl in Bilder fasst, das als Ahnung bereits in mir wohnt: Alles wird anders sein. Als Mutter. Immer wieder.
In der Szene, die durch Auge und Ohr direkt in mein Herz ging, sagt die Protagonistin zu ihrer Mitbewohnerin über den Sohn: „Du bekommst ihn draußen in der Welt zu sehen – als Mensch. Das werde ich niemals.“
Zwei Minuten später musste ich den Film stoppen, weil mein Sohn wach wurde. Ich kuschelte mich zu ihm ins Bett, er legte seine Hand auf meine Wange, wie er es immer tut, und schlief weiter. Als ich so da lag – aus strategischen Gründen möglichst regungslos – und in dieses formvollendete Gesicht sah, fühlte ich ganz deutlich, was für eine krasse All-inklusive-Reise diese Mutterschaft ist. Ich glaube, sie beinhaltet 99% der Emotionen, die ein Mensch zu fühlen imstande ist.
Von unersetzbar bis schrecklich peinlich
Ich lag also da und spürte keinerlei Zweifel, dass diese Phase hier, in der ich mich gerade befand und in der ich mir manchmal mehr Freiraum und Zeit für mich wünschte,– dass diese Phase nur ein sehr kleiner Abschnitt meines Lebens sein wird. Die Zeit, in der mein Sohn auch im Halbschlaf nach meinem Gesicht tastet, um es mit seinen kleinen Händen zu umschließen und beruhigt wieder einzuschlafen, wird mir eines Tages weit weg und etwas unscharf erscheinen. Sie wird von vielen weiteren Phasen abgelöst werden, die sich alle anders, aber sicherlich ähnlich intensiv anfühlen werden… und die irgendwann verblassen.
Denn im Laufe der nächsten Jahre (wenn seine Entwicklung weiterhin so galoppiert, dann eher übermorgen) wird sich der Sohn alleine anziehen, seine Gedanken und Gefühle in Worte fassen können und schwimmen lernen. Er wird nicht mehr auf meinem Arm, sondern als erster bei der Eisdiele sein wollen. Er wird zum ersten Mal allein bei jemand anderem übernachten und irgendwann Geheimnisse vor mir haben. Er wird die Badezimmertür abschließen und mich peinlich finden. Er wird uns kritisieren – für Dinge, die wir getan und andere, die wir gelassen haben. Und dann, nach schätzungsweise 20 Jahren, werden wir sein Leben hauptsächlich aus Erzählungen kennen – seinen eigenen, den seiner möglicherweise auftauchenden Geschwister, seiner Freunde oder PartnerInnen.
Bis dahin werde ich alle Gefühlszustände durchleben, die sich mit Hilfe von Hormonen, lebhafter Fantasie, den Gefahren dieser Welt und bedingungsloser Liebe herstellen lassen. Ich werde unfassbar glücklich, krank vor Sorge, stolz wie Bolle, hochgradig sauer, permanent übermüdet, völlig überfragt, schrecklich nervig, eigentlich ganz cool, manchmal traurig und im Großen und Ganzen schwer in Ordnung sein. In einem Zeitraum von etwa zwei Jahrzehnten, wohl aber eher bis zu meinem Lebensende, werden mich all meine Stärken und Schwächen regelmäßig im Spiegel anschauen.
Und das ist verdammt aufregend. Und wunderschön. Und beängstigend. So magisch, dass es keine Einhörner braucht.
Epilog
Na jedenfalls hoffe ich, dass unser Sohn später nicht nur aus Pflichtgefühl oder schlechtem Gewissen anruft, uns besuchen kommt oder an unsere Geburtstage denkt. Eigentlich hoffe ich ziemlich doll, dass er irgendwann mal etwas sagt wie, er hätte eine wirklich schöne Kindheit gehabt. Oder so ganz grob in die Richtung. Gleichzeitig wünsche ich mir, dass wir auch offen über Dinge sprechen können, die nicht so rund liefen. Ohne dass ich gleich in Tränen ausbreche oder auf seine undankbare Generation schimpfe.
Am meisten aber hoffe ich, dass ich immer wieder an seinem Leben, seinen Gedanken, Ideen und Abenteuern teilhaben darf. Denn ich finde diesen kleinen Menschen nicht nur süßer als kandierte Zuckerwatte mit Karamellkern, sondern schon jetzt unglaublich faszinierend. Ich weiß, dass ich durch ihn mehr über mich, diese Welt und das Leben lernen kann, als Wikipedia Wörter hat. Einfach nur, weil ich seine Mutter bin.
Das hast du genial geschrieben und gut ausgedrückt, was mir selber sehr schwer fällt in Worte zu fassen! Toller Beitrag!
Liebe Grüße
Britta von http://www.fulltime-mami.blogspot.com
Danke dir! Es ist total schön zu wissen, dass diese Gefühle auch so viele andere Menschen kennen. Und über sie staunen.
So wundervoll könnte ich das nie in Worte fassen. So schön geschrieben und so wahr.
Dankeschön!!
Das ist so toll geschrieben. DANKE!
Glaubt mir die Zeit vergeht so schnell. Genießt jeden Moment. Sie werden so schnell groß und du hast wieder so viel Freiraum wie du es dir nicht vorstellen kannst. Meine 5 Kinder sind jetzt schon alle erwachsen und ich würde mir wünschen, dass die kleine Hand mich wieder streichelt um zu schauen, ob ich auch noch im Bett neben ihm/Ihr bin.
Ja, genau das, was du beschreibst, konnte ich mir an diesem Abend sehr gut vorstellen. Es ist aber auch schön, dass man das nicht andauernd präsent hat – dass diese Zeit einmal vergeht – weil man viel zu sehr mit dem Hier und Jetzt beschäftigt ist. Da zieht mich mein Sohn nämlich immer wieder hin – und das ist toll. 🙂
Schön geschriebener Beitrag! Wir bekommen Ende des Monats unser erstes Baby und schon jetzt kann ich mir diese Vielzahl und den Wechsel der verschiedenen Gefühlslagen gut vorstellen … 😉
Dankeschön. Ich wünsch euch einen tollen Start und alles Liebe für diese spannende Reise!
Ich verstehe so gut, worüber du schreibst. In jedem freudvollen Moment steckt ein Fünckchen Trauer und Angst. Trauer, dass dieser Moment nicht ewig währt, Angst davor, dass man diese Verbindung verliert.
Deinen Epilog unterschreibe ich mit dickem Stift!
Ja, ist schon eine verdammt ambivalente und faszinierende Sache, dieses Elternsein.